GESAMMELTE NOTIZEN ZUR ABHÄNGIGKEITSERKLÄRUNG, testweise geordnet und in die dritte Person Singular (w) gesetzt.

 

Nur die Gemeinschaft kann uns vor der Einsamkeit retten. Nur die Einsamkeit rettet uns vor der Gemeinschaft.

 

Am morgen danach die Sinnlosigkeit ihres Körpers. Sinnlos weil allein, ohne referenz, Ding unter Dingen. aber ein Ding, das Energie verbraucht, um sich selbst zu erhalten. Sie bewegt sich, reaktiviert Verknüpfungen zwischen Füßen, Händen, Bauch, Beine, Po, Fingerspitzen, Augenlider und Stirn, tränende Augen. Ausfluß der Nacht um Traumbilder auszuwaschen. Kaffee kochen, Zähneputzen, trinken. Sie liegt auf dem Boden, the perfect sky is torn und die Gedanken sind immer bei anderen Menschen. Was tue ich hier alleine? Welchen zweck soll das denn haben? Im Zusammensein entsteht sinn, nein: ist sinn da, sofort, instantane Sinnexplosion, denkt sie und: Ich habe Gruppenheimweh, das kenne ich noch nicht so lange. Nach Nächten mit tanzen und rauschen tauchte es schon früher auf, diese Sehnsucht nach einer ununterbrochenen Mitteilung mit vielen. Man bewegt sich in der Menschenmenge ohne ein ziel, hierhin und dorthin, kreuz und quer, man lebt mit ihr, mit Körpern, Gliedmaßen, Massen nimmt sie einen auf, man lässt sich treiben, wird herumgewirbelt oder vermischt sich mit den anderen und plötzlich hat man das gefühl, dass es das wirklich gibt, wovon wir neulich sprachen, dieses „wir“, oder „uns“.
Erst allein wird sie sich selbst Tiefe, weil die Haut sie plötzlich viel fester umschließt: Abschluss, Absolution.  Stoffwechsel zum Selbsterhalt und aus Langeweile. Außen und Innen von Subjekt und Objekten, Dingen. Das Denken des Subjekts ist ein Denken der Einsamkeit. Die Gleichzeitigkeit von Fremdheit und Verbundenheit ist aber keine auf Erlösung oder Synthese strebende Dialektik, sondern kontinuierliche Bewegung und dynamisches Gefüge, das sich mit Begriffen nicht organisieren ließe. Also, Augen auf. Keine Angst. Na klar. einsam kann ich auch mit euch sein und gemeinsam auch allein. klar. Alleine an euch denkend bin ich euch vielleicht näher als noch eben neben euch, weil erst jetzt all das schöne, unverhoffte, alles was vielleicht zu schnell und nah gewesen, in mich sickern kann oder weil es zurückkommt, verspätete Resonnanzen unserer berührungen. und auch jetzt denkt sie an die nacht, in der sie getanzt haben bis zum morgen, bis eben, jedes lächeln und jede sorgenfalte war darin und zu jedem lachen hat sie getanzt, betrunkenheit war schon lange kein thema mehr, bare münze, klipp und klar auf den tisch gepackt, verschwisterungen im handumdrehen, morgen halb vergessen, tiefe geständnisse ohne abgrund, ständige mitteilung als unablässige erneuerung einer fläche, netz und you are my wonderwall, familie, verein, staat, nation, kultur, zum überwerfen, neuknüpfen, lüften, auftrennen, zerreißen, mit jedem Leben, Herzschlag, Atemzug, Tod.

Später mit Kaffefrühstück beim Dönerladen, zwischen anderen durchnachteten Gestalten. Verschworenheit der Nachteulen, weil der gemeinsame Rythmus dem Alltäglichen entgegensteht. Trägheit und mit dem Sonnenaufgang wachsende Leichtigkeit des Geistes, regelrechte Höhenflüge hinter den müden Augen während die Körper sich endlich fallen lassen. Vier waren sie und fast noch fremde und mit Armen, Beinen, Augen hatten sie jeden Status Quo unmöglich gemacht, eine Nacht lang dem Rythmus der Welt eine Dosis Freude eingebleut, you and you and you and me together make everything glitter.

 

Am Morgen danach ein Ohrwurm: "Ca n’existe pas: nous. Personne n’a jamais vu ou rencontré un “nous”." Wie kann man an menge denken, ohne ins allgemeine zu schweifen. Wie kann die menge eine singuläre vielheit singulärer ereignisse bleiben, wie weit geht mein Blickfeld, wie weit kann ich mich öffnen und verlieren und darin beständig bleiben, nicht immer wieder den Rückzug suchen.

 

Nachmittags, auf einem tagesausflug, kommt es irgendwie zu einer idyllische Szene im Grünen, Apfelbäume Kindergefühle, das gras das über den kopf wächst, verloren im instektenreich. Himmelblau, grasgrün, erdbraun, alles wie es sich gehört, latzhosen-leben der feinsten sorte, kindgerechter geht es nicht.


Am Abend dann Don Giovanni gesehen im Thalia Theater. Das Begehren der vielen: wer begehrt wen? Die vielen mich oder ich die vielen? Lässt sich das unterscheiden? Wie heterosexuell ist Don Giovanni’s Begehren eigentlich? "Liebe" als erstarrtes Bild des Begehrens: Leporello will nicht mehr Bild sein, dem Bild zuarbeiten. Das Publikum hingegen scheint sich zu weiten Teilen eben danach zu sehnen: In die Bilder einzutreten. Mit dieser Sehnsucht spielt die ganze Inszenierung und entwickelt darin Brutalität, Erschöpfung und sie schaut da alles an und irgendwann sitzt sie da im Publikum und weint leise, während die Menge lacht. Erst am Schluss wenn Leporello zum Tanzen auffordert gibt es da die Realität von Begegnung, von Unverhofftem, den Trost des Spiels. Ja, lass uns spielen.

Dann buntes Treiben im Theaterfoyer. Menschenmengen sind auch Geruchsmengen, Gerüche, die sie wiedererkennt und an Erinnerungen knüpft. Die Gerüche sind wie die Geister der Menge, denkt sie und merkt wie sich zwischen den anwesenden Körpern abwesende Liebschaften drängen, Freund_innen, Situationen, Erinnerungen, Katharina. Ein Bad in der Menge ist auch ein Bad in ihrer Erinnerung bei gleichzeitiger Überpräsenz der Wirklichkeit, alle Fühler aufgerichtet. Mitten in der Menge sein: vor den staunenden Kinderaugen wird alles zum Rauschen und Schillern. Die Leute holen ihre Jacken ab bei zwei Menschen, die sie kennt: Bastian und Hanna. Sebastian macht Bühnenbilder und sie hat einmal mit ihm gearbeitet. Ein netter weicher Mann mit traurigen Augen, dauernde Sehnsucht oder so. Hanna kennt sie gar nicht wirklich aber jetzt hat sie ihre Telefonnummer; Hanna ihre nicht sie Hannas. Sie hat auf Hanna gewartet im Regen vor dem Theater, während die anderen Theatergäste an ihr vorbeizogen, schnell raus, schnell Meinungen loswerden, kulturelle Komplizen, ab nach Hause. Ich habe gerade ganz andere Sorgen, hat Hanna dann gesagt, trotzdem die nummer notiert und dann wieder in die Menge, too many too fast like raindrops. Too many friends.
Wenige Tage später ist Hanna wieder an ihr vorbeigelaufen, in einem Gewühle und Gefühle aus tanzen, essen, trinken, hätte sie rufen können und hat es nicht, ließ sie sie aus Gründen der Diskretion wieder in der Menge verschwinden schaute hinterher und mit wem sie unterwegs, weil jede Fremde doch vor allem eine unzahl an namen, gesichtern, bekannten, situationen, orten um sich trägt. Kennenlernen: ein einkreisen. dann weiter durchs gewühl, die meiste zeit in sich verschlossen, ohne verbindung zu all den anderen, hunderte menschen ihres alters, ihres schlags, künstler_innen, zumindest auf den ersten blick, sie sympathisiert mit den wenigsten, suche und sucht nach gesichtern, an denen sie sich ein wenig festhaken kann, bei denen sie sich aufhalten mag. (oft ist die schleuse zu den vielen eine zweierbeziehung, eine freundschaft: sie zieht mit lena 1 oder lena 2 los, um die welt auszuhalten und dann sogar zu genießen, sie anzustecken mit der liebe. und es funktioniert, sie lachen und reden und tanzen mit allen anderen, nur nicht miteinander, das nur im notfall, wenn die anderen immun bleiben gegen die freude.  (Oder aber sie bleiben ganz einander zugetan und die anderen kommen zu ihnen, kriegen ihre portion glück verabreicht: wir haben ja mehr als genug davon.)) jetzt denkt sie aber die ganze zeit pathetische sätze wie: wo bist du, licht? und sie würde gerne irgendjemandem sagen: Oh baby my hearts on fire, oh baby my hearts on fire, oh baby my hearts on fire for you - all. Fertiggedacht, biergetrunken und dann waren sie da: maria, sören, anna, zahava, marie, julia, anna, rabea, julien, nuryie, kathia, lukas, stefan, lea nahe und ferne freundinnen, sie möchte euch jetzt freundinnen nennen, sie möchte, dass ihr eure kreise um sie zieht, was sonst will ich denn hier, wenn nicht euch...? Geil sein. Bunt sein und betrunken. Komm komm baby. Ja das bin ich, die mit den roten fingernägeln trying hard to be nice like a lady. Herz in der hose oder hose im herz. Fuck you! Fuck me! YEYES. Auf zum Buffet. Darf ich mir da eine drehen. Ja Klar. Danke MannFrau. Dein dunkelblau-weiß gestreiftes Oberteil ist schon vorhin aufgefallen als wir alle so extrem aufmerksamkeitsmäßig dem symposium über kunst und politik lauschten und wie du es so straight und klar in deine mum-jeans gesteckt hast. Und dein kinder-jungens-gesicht, strähnige haare und im partylicht reden andere auf dich ein und du siehst in all der aufregung noch jünger aus. Ach! Und als sie dann eng an eng und unerkannt neben Agnes saß (deren namen und gesicht sie von tinder kennt) dachte sie verschwommen, dass sie eigentlich das kindartige, weiche viel klarer in allen menschen sehen könnte, wenn sie sich die mühe machen würde und sich selbst immer stark genug fühlen würde. Das würde manchmal die ganzen verknalltheiten unterbrechen, weil sie dann ja auch sofort die ganze aufs innere kind getürmte kaputtheit sehen würde, die realität quasi. Aber ach! Der typ neben ihr, mit dem sie einen stuhl teilt, was war das für einer. Süß irgendwie, auch aufwendig verkleidet. Und ja, irgendwie hat sie damit gerechnet Hanna nochmal zu sehen. Stattdessen anna. Auch schön. Oh baby my hearts on fire for you all.
Und dann? Und dann.
[…]
Dystopie vorm Laptop: Wie ist das passiert, dass es mir plötzlich dauernd schlecht geht, dass die ganze welt aus menschen besteht, die mich zurückweisen, oder aus menschen, die ich nur zurückweisen kann, weil sie etwas in mir sehen oder etwas von mir wollen, was ich nicht bin oder geben kann? wie konnte die welt so sehr aus dem rhythmus fallen? Es scheint, es besteht dieser tage eine ungleichzeitigkeit aller bedürfnisse aller menschen. darin liegt eine unfassbare gleichzeitigkeit: kein begehren trifft sich, alles begehren driftet auseinander zu unmöglichen orten: apokalypse. Kann mir jemand helfen? Bitte. ich fühle mich klein,schwach, unfähig, denkt sie und schreibt es auf. beruf ganz sicher verfehlt, kein talent aber ansprüche, daher der dauernde vergleich mit allen anderen, die alle alles besser machen: entweder sind sie erfolgreich oder konsequent oder manchmal sogar beides. Sie ist gar nix außer hilflos, charmant im besten falle, aber das reicht nicht mehr, da hatte L recht, das will man nicht immer bleiben. Nehmt mich in den arm, ihr vertrauten, hört mir zu, ihr die ihr mich ein wenig kennt und deshalb mögt, die ihr nicht mit mir schlafen wollt oder eure bedürfnisse an mir stillen wollt, nehmt mich in den arm und lasst euch herzerweichen von mir, kommt, wir wollen uns verbünden indem wir uns riskieren, wollen keinen sicheren pfad mehr gehen, der schritt pflanzt den weg.


Später Besserung in Sicht: Vor dem fenster des cafés umarmen sich zwei schöne, lachende Personen. Stummfilm mit grimassen und herzensgefühlen. Adieu, mein lieber, adieu. Die umarmung: fest und warm und sie stellt sich all die gerüche vor, die einem in solchen umarmungen begegnen. Wann wurde es eigentlich üblich, sich zu abschied und begrüßung zu umarmen? Ist das nicht eine weithin unterschätze verbesserung des alltäglichen lokalen und globalen miteinanders? We need a litany, a rosary, a sutra, a mantra, a war chant of our victories.

 

[...]


Familienbesuch, unverhofft mit allen zehn oder wie viele das inzwischen sind, eigentlich war ein tete a tete mit oma geplant. Die familie aber, kinder, enkelkinder, eltern in hülle und fülle, verunmöglicht jeden plan, die menge an menschen, rollen und strukturen macht jede konzentration kaputt. Logisch. Also entweder separierung oder eintauchen, intensives aufregen und frohlocken, voll durchdrehen, hauptsache laut genug und stabil, um nicht sofort weggerissen zu werden von den anderen meinungen, die doch voll als motor, hyperakzelerator gebraucht werden, damit sie ausflippen kann. danach im stillen die eigene meinung nochmal überprüfen und gelassen über bord werfen, weil sie jetzt nicht mehr relevant ist, nicht mehr ventil für die wütende leidenschaft im sinne von ich bin jetzt auch besonders und nicht mehr euer fleisch und blut oder vielleicht sogar im sinne von leckt mich doch bitte endlich alle am arsch. Später voll nett geredet, spaziergang durchs heimatdorf, frischluft, ausnahmezustand angenehmster fasson, am abend kissenschlacht mit babys und schulkindern, dabei vor lauter vergnügen kurz selbst in ein kissen verwandelt, weich warm und dunkel, aufeinandergestapelt und quietschend. Ab ins bett. Der mond ist aufgegangen und die goldnen sternlein sind auch schon längst extrem gut sichtbar. Mikrokosmos Dorf in direktem Kontakt mit dem Makrokosmos, dem All. Vielleicht wirkt es deswegen so harmonisch alles.